Wozu ist Bewusstsein gut?

Wozu ist Bewusstsein gut?

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Philipp Wehrli, 21. Februar 2009

Wenn wir uns fragen, wie das Bewusstsein entstanden ist, müssen wir uns vor allem fragen, welche Funktionen es im Rahmen der Evolution erfüllt. Ich sehe zwei Funktionen und unterscheide daher auch zwei Arten von Bewusstsein: 1. Das technische Bewusstsein muss die Aufmerksamkeit bündeln. 2. Das Selbstbewusstsein hilft einem facettenreichen Individuum, sich selber als konsistente Person in eine soziale Gemeinschaft einzugliedern.
Zum Schluss diskutiere ich die Frage, in wie weit die subjektive Erfahrung Ich-Bewusstsein der Wissenschaft zugänglich ist.

1. Das technische Bewusstsein: Koordinator eines Forschungsteams

Über den Unterschied zwischen menschlichem und tierischem Denken habe ich im Artikel Haben Tiere ein Bewusstsein? ausführlich geschrieben. Ich fasse die dortigen Thesen noch einmal zusammen:

Tiere besitzen bereits bei ihrer Geburt ein grosses Wissen über die Welt und können allfällige Fehler in diesem Wissen nur sehr bedingt korrigieren. Der Mensch aber kommt (praktisch) unwissend zur Welt und schafft sich sein Weltbild selber. Er ist also gezwungen, auf allen nur denkbaren Gebieten zu lernen, weil er ja nicht wissen kann, welche Dinge wichtig sind und welche nicht. Der Mensch forscht weitgehend wahllos in jedem nur denkbaren Bereich.

Die ziellose Forschung lohnt sich für den Menschen, weil er eine Sprache hat. Dadurch kann er auch Teilerkenntnisse oder neue Fragenstellungen den anderen Menschen weitervermitteln und diese können aus den Teilerkenntnissen vielleicht irgendwann einen völlig unerwarteten Gewinn ziehen (siehe dazu den Artikel: Die Evolution der Sprache).

Bei der ziellosen Forschung steht der Mensch vor einem völlig neuartigen Problem. Wenn er nur blind drauflos lernt, besteht die Gefahr, dass er sich verzettelt. Dieses Problem gibt es bei Tieren nicht, weil Tiere zum Vornherein nur auf ganz bestimmten Gebieten lernen und forschen. Für den Menschen stellt sich also die Frage: Wann und auf welchen Gebieten soll ich forschen? Worüber soll ich nachdenken?

Man könnte sich vorstellen, dass ein Mensch sich von Geburt an instinktiv für gewisse Dinge interessiert, nämlich genau für die Dinge, die eben für sein Leben wichtig sind. Schimpansen haben z. B. einen Instinkt, mit Werkzeugen zu hantieren. Sie haben, was Werkzeuge angeht, einen Lerntrieb und dieser Lerntrieb ist von Natur aus auf das Hantieren mit Werkzeugen beschränkt, weil dieses im Leben der Schimpansen einen Erfolg bringen kann. Wenn aber von Geburt an vorgegeben ist, wofür ich mich interessieren soll, bin ich nicht viel weiter als die Tiere, denen das Wissen über die Welt bereits angeboren ist. Ich könnte dann nicht flexibel auf völlig neue Probleme reagieren.

Es ist also eine neue Instanz gefordert, die angepasst an meine momentane Situation und basierend auf meine Erfahrung entscheidet, worauf ich mich konzentrieren soll. Diese Instanz ist wohl das, was ich als “bewusstes Denken” wahrnehme, wenn ich meine Gedanken auf einen bestimmten Gedanken fokussiere.

Nach dieser These läuft mein Denken in zwei verschiedenen Moden: Im ersten Modus löse ich wie intelligente Tiere diverse Probleme des Alltags wie es sie seit Urzeiten gibt. Diese Denkleistung wird mir im Allgemeinen überhaupt nicht bewusst. Dieser Modus reicht aus für alle Bereiche, in denen ich sehr rasch zu verwertbaren Schlüssen gelangen kann.

Der zweite Modus schaltet sich ein, wenn ich es möglicherweise nicht zu einer direkt verwertbaren Anwendung schaffe oder jedenfalls erst nach längerem Grübeln. Hier greift das Bewusstsein als Schutzmechanismus ein und verhindert, dass ich mich verzettele. Das Bewusstsein fokussiert meine Gedanken auf einen bestimmten Gegenstand, der zumindest indirekt einen Erfolg verspricht. Es dominiert meine tierischen Instinkte, die mir geraten hätten, hier keine unnötige Energie zu vergeuden. Es dominiert aber auch meinen Lerntrieb, nach dem ich über alle nur denkbaren Fragen stundenlang grübeln würde.

Beim Entscheid, ob sich Forschen lohnt, stützt sich ein Tier vor allem auf angeborene Instinkte, auf die persönliche Situation (Sind neue Nahrungsquellen gefragt? Gibt es ein konkretes Problem zu lösen? Habe ich Zeit und Musse, mich damit zu beschäftigen? …) und auf die Selbsteinschätzung (Kann ich dieses Problem überhaupt lösen?) Forschung lohnt sich für ein Tier immer nur dann, wenn sie zu einer durchführbaren Idee führt!

Wenn mein Bewusstsein entscheidet, worauf ich mich konzentrieren soll, ist zwar die Selbsteinschätzung noch immer sehr wichtig. Die Frage lautet aber nicht mehr: „Kann ich diesen Problem lösen?“, sondern: „Komme ich hier mindestens zu einer Teilerkenntnis, die ich meiner Gruppe weiter erzählen kann?“ Nicht nur, wie ich meine Fähigkeiten einschätze, sondern vor allem, wie ich meine soziale Stellung in der Gruppe und die Interessen dieser Gruppe sehe, ist ausschlaggebend dafür, ob ich mich mit einer Frage befasse oder eben nicht.

In einer religiös geprägten mittelalterlichen Stadt hätte ich mich kaum mit den obigen Gedanken befasst. Ich hätte vielleicht mit anderen darüber debattiert, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Zu diesem Artikel wurde ich angeregt, weil ich sehe, dass jeden Tag zwischen 150 und 400 Menschen meine Homepage besuchen. Weil jetzt gerade das Darwin-Jahr ist, schauen sich diese Leute vor allem die Artikel Darwins Evolutionstheorie und Haben Tiere ein Bewusstsein? an. Seit Jahren befasse ich mich mit dem Thema Bewusstsein, weil ich feststelle, dass es dazu immer mal wieder spannende Diskussionen gibt. Wenn sich in meiner Umgebung niemand für das Bewusstsein interessieren würde, würde ich mich wohl mehr mit Fussball beschäftigen.

All dieses persönliche Gequatsche war keineswegs eine sinnlose Abschweifung. Vielmehr behaupte ich: Dies ist der Grund dafür, weshalb ich meine Gedanken bewusst erlebe!

Wenn nämlich allein dies die Aufgabe des technischen Bewussteins wäre, Aufmerksamkeit zu erzeugen, so wäre keineswegs klar, weshalb es in mir ein Gefühl des bewussten Erlebens hervorrufen soll. Tatsächlich ist diese Aufgabe nicht einmal völlig neu: Auch der Schimpanse muss sich ja entscheiden, ob er nun mit einem Stock oder mit einem Stein hantieren oder ob er sich nicht besser irgendwo eine Banane schnappen soll. Muss diese Überlegung wirklich bewusst ablaufen?

Ich denke nein!

Der entscheidende Unterschied zwischen meinem Denken und dem Denken des Affen ist nicht das Wie, nicht das Worüber und nicht einmal das Wie tief? Der entscheidende Unterschied ist das Wozu?

Der Schimpanse denkt, weil er sich die Lösung eines konkreten Problems erhofft. Ich denke, weil ich die Gedanken anderen Menschen erzählen kann. Und genau dies ist auch der Grund, weshalb meine Gedanken bewusst sein müssen: Damit ich sie jemandem erzählen kann, muss ich sie erstens in Sprache übersetzen, ich muss mir zweitens darüber im Klaren sein, welche Teile meiner Erkenntnisse für den anderen von Bedeutung sein könnten und wie er sie verstehen wird und ich muss mir drittens überlegen, welche Wirkung ich beim anderen auslöse, wenn ich ihm meine Gedanken erzähle. (Wird er mich auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder mir einen Adelstitel verleihen?)

Ich behaupte:

  1. Nicht der Gedanke an sich erfordert das Bewusstsein, sondern das Medium Sprache. Belege für diese These
  2. Das Medium Sprache brauche ich nicht, um auf den Gedanken zu kommen. Belege für diese These
  3. Sondern das Medium Sprache gibt meinem Gedanken erst seinen Wert. Belege für diese These

2. Das Selbstbewusstsein: Der Pressesprecher

Das technische Bewusstsein steht also in enger Verbindung damit, wie ich meine Funktion in der sozialen Gemeinschaft sehe, und daraus ergibt sich auch der Zusammenhang zwischen Sprache und Bewusstsein. Die Gedanken, die ja nicht mehr zu einer konkreten Anwendung führen müssen, erhalten ihren Wert erst dadurch, dass ich sie kommunizieren kann. Zwar kann nicht jeder bewusste Gedanke in Sprache formuliert werden. Aber die bewussten Gedanken sitzen gleichsam in einem Wartsaal vor dem Sprachzentrum. Bei Bedarf kann ich sie mit mehr oder weniger Verlust in Sprache übersetzen.

Dazu müssen die Gedanken linearisiert werden. Während das Denken normalerweise massiv parallel abläuft, können wir in der Sprache immer nur Wort für Wort sagen. Dies ist zwar nicht etwas völlig Neues. Auch ein Bewegungsablauf muss linearisiert werden. Anfangs schweben mir wohl mehrere Bewegungsvarianten vor, doch irgendwie wird in mir drin ein Entscheid gefällt, welches die geeignetste ist. Das Linearisieren führt aber dazu, dass ich meine Aufmerksamkeit noch stärker fokussiere als dies für das technische Bewusstsein nötig wäre.

Dieses Linearisieren ist aber nur die eine Besonderheit des Bewusstseins. Die andere ist die Selbstbezüglichkeit. Wenn ich mir ein vollständiges Weltbild schaffe, bin ich ja selber Teil der Welt, von der ich mir ein Bild schaffe. Diese Selbstbezüglichkeit führt noch mehr als das Linearisieren und die Aufmerksamkeit dazu, dass ich mein Dasein bewusst erlebe. Die Selbstbezüglichkeit ist für mein Weltbild nicht ein seltsamer Nebeneffekt, sondern überlebenswichtig.

Die Aufgabe des Weltbildes ist ja nicht, möglichst realistisch und ausgewogen zu sein, sondern mir Vorteile im Überlebenskampf zu bringen. Da ich in einer sozialen Gemeinschaft lebe, ist es wichtig, dass ich ein klares Bild davon habe, welchen Platz ich in dieser Gemeinschaft einnehme. Nur wenn ich dies klar weiss, kann ich passend auf die soziale Umgebung reagieren. Das Ich wird deshalb in meinem Denken regelmässig eine wichtige Rolle spielen. Für diese Aufgabe braucht es zwar noch nicht zwingend ein Bewusstsein. Auch Hühner haben eine Hierarchie, aber ich bezweifle, dass sie sich darüber bewusst Gedanken machen. Was würde ihnen dies bringen?

Als Mensch in einer sprachbegabten Gemeinschaft kann ich aber nicht nur passiv feststellen, welchen Platz ich einnehme, sondern ich kann auch durch geschickte Kommunikation das Weltbild anderer ‘Mitspieler’ beeinflussen und damit insbesondere auch den sozialen Rang, den sie mir zugestehen.

Das Bewusstsein hat also nicht nur die Aufgabe zu entscheiden, worüber ich nachdenken soll, sondern auch, welches Bild von mir ich anderen Mitspielern kommuniziere. Das Bewusstsein fungiert als eine Art Pressesprecher. Es hat die Aufgabe, nach aussen den Eindruck eines konsistenten, berechenbaren und zuverlässigen Individuums zu erwecken. Verschiedene sich widersprechende Aspekte werden deshalb unterdrückt und zu einer einzigen Stimme zusammengefasst.

Sind das nicht völlig verschiedene Dinge, die ich hier technisches Bewusstsein und Selbstbewusstsein nenne? -Ich denke nein!

So, wie das technische Bewusstsein viele technische Fragen ausblenden und sich nur auf ein Problem konzentrieren kann, so blendet das Selbstbewusstsein auch viele Aspekte der Persönlichkeit aus und schafft so ein einziges, möglichst konsistentes Selbstbild. Und so wie die technischen Überlegungen quasi im Wartsaal vor der Verarbeitung zur Sprache sitzen, so wartet auch das Selbstbild in diesem Wartsaal. Bei Bedarf kann ich -bzw. mein Pressesprecher Selbstbewusstsein- Auskunft geben, weshalb ich etwas so und nicht anders getan habe.

Schauen wir uns dieses Bild vom Bewusstsein als Pressesprecher einmal näher an! Der entscheidende Punkt ist, dass der Pressesprecher in unserem Körper nicht der Chef ist. Welche Schlussfolgerungen, welche beobachtbaren Konsequenzen ergeben sich daraus?

Welche Informationen wird der ‚Pressesprecher‘ haben?

Ein guter ‚Pressesprecher‘ kennt zwar sicher seinen Körper einigermassen. Er muss aber nicht über alle Details informiert sein. Heute wäre es dank der modernen Medizin zwar wertvoll, wenn wir dem Arzt gleich eine Diagnose liefern könnten. Aber in der vergangenen Million Jahre menschlicher Evolution hätte dies nichts genützt. Daraus ergibt sich die

These: Das Bewusste, das Ich, ist nur indirekt und nur bruchstückhaft über die Gefühle und die Vorgänge im Körper eingeweiht. Vergleichbar mit einem schlecht informierten Pressesprecher muss es basierend auf mangelhaften Informationen ein möglichst konsistentes und PR-wirksames Gesamtbild aufbauen. Belege für diese These

Der ‚Pressesprecher‘ muss vor allem über diejenigen Denkabläufe und Gefühle Bescheid wissen, die er kommunizieren muss. Für die alltägliche Routine interessiert er sich nicht. Er weiss von den Erkenntnissen und Zwischenresultaten, die für seine Mitmenschen evtl. von Wert sein könnten. Von Problemen, zu denen er möglicherweise andere befragen könnte. Vom Bild, das er anderen von sich vermitteln möchte. Je grösser die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gedanke oder ein Gefühl sprachlich beschrieben werden muss, desto bewusster sind sie.

These: Die Verarbeitung von Informationen, insbesondere die alltägliche Routine läuft vor allem unbewusst ab. Bis zu einem gewissen Grad gilt dies sogar für das Suchen nach der Lösung eines abstrakten Problems. Was mit Sicherheit nicht kommuniziert werden muss, ist auch nicht bewusst. Belege für diese These

Aufgabe des ‚Pressesprechers‘ ist nicht, die Wahrheit zu sagen. Er muss sie also auch meist nicht kennen. Seine Aufgabe ist, aus seinem beschränkten Wissen ein konsistentes und passendes Gesamtbild zu konstruieren.

These: Das bewusste Ich hat wenig bis keine Einsichten in das, was seinen Wünschen, Plänen und Handlungen tatsächlich zugrunde liegt. Das Ich legt sich Erklärungen zurecht, mit denen es vor sich selbst und vor anderen bestehen kann; diese haben aber häufig wenig mit den eigentlich bestimmenden Geschehnissen zu tun. Belege für diese These

Die Idee, das Selbstbewusstsein sei eine Art Pressesprecher, vertritt übrigens auch Wolf Singer, Direktor der Abteilung für Neurophysiologie am Max-Planck-Institut in seinem anregenden Büchlein `Vom Gehirn zum Bewusstsein´ (Sin 1).

Ich will den Chef sprechen!

Heute Morgen war ich sofort hell wach als ich erwachte. Ich fragte mich sogleich: “Wie passt das mit meiner These vom Pressesprecher zusammen?” Wem muss ich erzählen, wie ich aufstehe, wie ich mich rasiere und wie ich mich wasche? Wozu muss der Pressesprecher das wissen? Weshalb soll das bewusst sein?

Es ist mir mal passiert, dass ich aufgewacht bin, ohne mir dessen bewusst zu sein. Mein Wecker hat geläutet, und ich bin quer durch´s ganze Schlafzimmer gegangen, habe ihn abgestellt, bin wieder zurück in mein Bett gegangen und habe weiter geschlafen. Ich war damals noch Schüler und musste meinem Lehrer berichten, was passiert war. Da schaut der Pressesprecher nach links und nach rechts und überlegt sich, wem er dieses Missgeschick anhängen kann. Tatsache ist: Da gibt es niemanden! Ich kann dem Lehrer nicht sagen: Das Gehirnareal XY hat sich geweigert aufzuwachen. Der Lehrer verlangt genau eine Ansprechperson und die bin ich. Er erwartet, dass ich den ganzen Menschen im Griff habe.

Wenn der Pressesprecher sagt: “Tut mir leid, aber ich bin nicht der Chef! Die da drin haben das vermasselt. Ich bin ja nur der Pressesprecher.” Dann bin ich als gesamter Mensch nicht mehr vertrauenswürdig. Ich muss mich als Chef ausgeben und so tun, als hätte ich es im Griff. Ich muss mich so sehr mit dem Chef identifizieren, dass ich schon gar nicht auf die Idee komme, ich sei nicht verantwortlich für das Zu-Spät-Kommen.

3. Weshalb spüre ich, dass ich bin?

Das technische Bewusstsein und den Pressesprecher programmieren

Sowohl das technische Bewusstsein als auch der Pressesprecher haben eine klare Aufgabe. Wir könnten eindeutig unterscheiden, ob ein Roboter ein technisches Bewusstsein hat oder nicht. Wir müssten dazu nur untersuchen, ob er fähig ist, auf sehr vielen verschiedenen Gebieten zu forschen und zu lernen, und ob er seiner Situation entsprechend sinnvoll entscheiden kann, worüber er gerade nachdenkt, worauf er also seine Aufmerksamkeit lenkt. Natürlich ist der Übergang vom Roboter ohne technischem Bewusstsein zu dem mit fliessend. Es besteht für mich kein Zweifel, dass es möglich ist, Roboter mit technischem Bewusstsein zu bauen.

Ebenso könnten wir entscheiden, ob ein Roboter einen Pressesprecher hat. Wir fragen ihn einfach! Die Antwort wird auch hier nicht ein Ja oder ein Nein sein. Es gibt bessere und weniger ausgefuchste Pressesprecher. Wir können aber von aussen sehen, wie gut der Pressesprecher seine Arbeit erledigt. Und weil das Resultat so klar sichtbar ist, ist die Aufgabe auch programmierbar. Es ist möglich, Roboter so zu programmieren, dass sie für ihre Taten Verantwortung übernehmen, dass sie einfühlsam auf unsere Stimmungen und Sorgen eingehen und mir Charme begründen können, weshalb sie so gehandelt haben, wie sie gehandelt haben.

Dietrich Dörner zeigt sehr ausführlich, wie man einen Roboter programmieren könnte, damit er menschliche Eigenschaften hat (Dör 1). Dabei zerlegt er das menschliche Verhalten in viele Dutzend kleine Teilaufgaben. Wenn die Teilaufgaben klein genug sind und wenn jede von ihnen eine beobachtbare Lösung haben, dann ist es gar nicht mehr so schwierig, den Roboter darauf zu programmieren. Jedenfalls kann man Dörners Erklärungen sehr rasch lesen, das meiste versteht sich von selbst. Das Problem besteht einzig darin, dass es so viele Teilaufgaben gibt, dass das Buch über 700 Seiten dick ist. Es ist meiner Meinung nach eine Frage der Zeit, bis wir Roboter haben, die sich verhalten wie Menschen.

Die Frage ist: Hätte so ein Roboter echte Gefühle oder wäre er einfach eine sehr geschickte Maschine?

Wozu braucht es Gefühle?

Der Roboter, den Dörner skizziert, hat `Sollwerte´ die er erreichen will. Stimmen diese Sollwerte nicht, `fühlt´ sich der Roboter `unglücklich´. Das bedeutet, er versucht nach einem sehr komplexen Regelwerk mit vielen Rückkopplungen den Sollwert wieder zu erreichen. Ein Sollwert ist aber noch kein Gefühl. Wenn ein Computer meldet, dass die Batterie leer ist, dann fühlt er noch lange keinen Hunger.

Jedes beobachtbare menschliche Verhalten können wir einem Roboter einprogrammieren. Wir gehen einfach vor wie Dörner. Wir zerlegen das Verhalten in so kleine Teilaufgaben, dass praktisch klar ist, wie die Aufgabe gelöst werden kann. Gefühle aber kann ich nicht sehen. Der Roboter mag Tränen vergiessen, blass werden, lachen u. s. w., aber dazu muss er ja nichts fühlen. Die Frage ist daher:

Woran erkenne ich echte Gefühle?

Das sogenannte Gefühlskino ist voll von der Frage, ob die Gefühle nun echt sind oder nur gespielt. Im Film Broadcast News (Nachrichtenfieber) z. B. spielt William Hurt einen Fernsehreporter, der unter anderem grossen Erfolg hat, weil er bei einem Interview mit einer vergewaltigten Frau echte Rührung zeigt. Als die Frau von ihrem Erlebnis berichtet, ist der Interviewer sichtlich erschüttert, auch wenn er dies zu verbergen versucht, weil es ihm peinlich scheint. Am Ende des Filmes wird aber klar, dass diese Kameraeinstellung eine Fälschung war. Der Reporter hat seine so echt scheinenden Gefühle erst nach dem Interview nachgespielt und aufzeichnen lassen. Dies ist für seine Freundin (Holly Hunter), Anlass, ihn zu verlassen.

Was wäre das Problem, wenn mir jemand Gefühle vorspielt? Solange er, bzw. sie mir jeden Wunsch von den Lippen abliest, kann mir doch egal sein, was er bzw. sie wirklich fühlt?

Der Punkt ist, wie Steven Pinker überzeugend erklärt, dass echte Gefühle uns dazu zwingen können, irrational zu handeln, und dass genau diese Möglichkeit der irrationalen Handlung einem Menschen Macht verleihen kann (Pin 2), siehe auch (Wat 1).

Die Begründung läuft etwa so: Angenommen, eine Frau möchte ihren Freund verlassen. Sie hat aber grosse Angst vor ihm. Weshalb sollte sie Angst haben? –Es wäre völlig irrational, wenn er ihr etwas antun würde. Das würde sie bestimmt nicht zurück bringen, und er hätte danach womöglich noch Probleme mit der Polizei. Seine Drohungen sind also nicht ernst zu nehmen.

Nun erklärt aber die Frau überzeugend, dass er in solchen Fällen nicht rational handelt. Mehrmals ist er schon völlig ausgerastet, zweimal hat er ein Wirtshaus zertrümmert, mehrmals hat er sie windelweich geschlagen. Natürlich weiss er, dass er dadurch Probleme mit der Polizei kriegt. Aber er kann sich in solchen Fällen nicht mehr kontrollieren.

Unter diesem Gesichtspunkt sind die Bedenken berechtigt. Die Macht seiner Drohung basiert darauf, dass er irrational handelt. Er ist auch bereit, sich selber Schaden zuzufügen, wenn seine Emotionen ihn dazu hinreissen. Der irrationale, von den Gefühlen gesteuerte Mann hat einen Vorteil gegenüber dem rational berechnenden Roboter! (Die Aufgabe der Polizei, des Gesetzgebers und der Richter ist, dafür zu sorgen, dass dem Mann so grosse Nachteile erwachsen, dass der Vorteil verschwinden.)

Irrationalität kann nicht nur einer Drohung Überzeugungskraft verleihen, sondern auch bei einem Versprechen Vertrauen wecken. Eine gefühllose Frau, die rein ökonomisch rechnet, wird mich verlassen, wenn ich schwer krank werde. Eine liebende Frau wird mich zehn Jahre lang pflegen, auch wenn ich mit Sicherheit nicht mehr gesund werde. Wenn meine Frau echte Gefühle hat, ist dies für mich eine Invalidenversicherung. Wenn ich eine Lebenspartnerin suche, werde ich sehr sorgfältig nach Zeichen Ausschau halten, ob sie echte Gefühle hat.

Wie aber könnten solche Zeichen aussehen? Alles, was beobachtbar ist, kann ja auch einem Roboter einprogrammiert werden. Auch egoistische Menschen werden versuchen, mich zu täuschen und mir die Zeichen vorzuspielen. Was wäre ein Zeichen, dass kein noch so übler Egoist fälschen kann? Ja, woran erkennen wir Liebe?

Am 50sten Geburtstag seiner Frau hält der Ehemann vor den versammelten Gästen eine kurze Rede, in der er sich bedankt. Bei diesem Dank überkommt ihn die Rührung, es schnürt es ihm die Kehle zu, er stockt und kriegt beim wichtigsten Satz eine weinerliche Stimme. Möglicherweise bricht er seine Rede sogar wegen dieser Emotionen früher ab, jedenfalls scheint der Schluss etwas abrupt und wenig ausgefeilt.

Wozu soll das gut sein? – Offensichtlich ist dem Mann die Sache peinlich. Vor so vielen Leuten wollte er souverän wirken. Vielleicht sitzen unter den Gästen seine Geschäftspartner. Was sollen die denken?

Sie denken: „Er liebt sie wirklich!“ Alle wussten, dass er einige nette Worte sagen würde. Spannend ist die Erkenntnis, dass ihm diese Worte nahe gehen. Diese Botschaft kostet den Mann einiges: Alle wissen nun, dass er nicht immer ganz so souverän ist wie im Geschäftsleben. Alle wissen, dass er verletzbar ist. Und gerade weil die Botschaft etwas kostet, ist sie überzeugend. Theoretisch könnte sie auch von einem guten Schauspieler vorgespielt werden. Aber ein Schauspieler würde das nicht machen, weil ihm die Botschaft zu teuer wäre.

Die Kosten sind der entscheidende Punkt. Steven Pinker weist darauf hin, dass alle Emotionen an Reflexe gekoppelt sind, die wir nicht kontrollieren: Erröten, Erbleichen, Schwitzen, Zittern, Stammeln, Krächzen, Weinen, erhöhter Herzschlag, Atemfrequenz, Blutkreislauf, Speichel. Es ist nicht ungefährlich, den Herzschlag willentlich zu erhöhen oder gezielt zu Erröten. Deshalb müssen diese Dinge unbewusst ablaufen. Und genau deshalb sind sie auch geeignet, als Zeichen für Emotionen: Wenn jemand errötet, geht es ihm wirklich nahe (Pin 2).

Nun ist es vielleicht in der Evolution wichtiger, die richtige Frau zu kriegen, als vor den Geschäftspartnern souverän zu wirken. Dann wird die Evolution dazu führen, dass Menschen Gefühle zeigen. Im Menschen wird es einen Mechanismus geben, der aufgrund vieler Informationen ausrechnet, welche Gefühlsregungen gerade den grössten Vorteil bringen.

Wird der Pressesprecher über diesen Mechanismus informiert? –Sicher nicht! Für die Botschaft des obigen Mannes wäre das Verheerendste, wenn die Frau später die Notizen zur Rede findet und beim entscheidenden Satz den Vermerk liest: „Rührselige Stimme!“

Der kleinste Verdacht, die Gefühle könnten vorgespielt sein, zerstört alles. Ein Rohrkrepierer wäre schon, wenn der Mann am nächsten Tag im Büro locker fragt: „Na, ich habe meine Emotion doch recht überzeugend rüber gebracht, nicht wahr? Es braucht eben immer mal wieder ein paar Tränen um diese Frau davon zu überzeugen, dass ich sie wirklich liebe.“

Nach so einer Bemerkung würden die Kollegen ihm wohl nicht mehr über den Weg trauen.

Der Mechanismus funktioniert nur, wenn der Pressesprecher von den Gefühlen überrumpelt wird und sie nicht beherrschen kann. Sie wirken vielleicht noch überzeugender, wenn er über diese Gefühle nachgrübelt, wenn er vielleicht sogar ein Gedicht dazu verfasst, wenn er öffentlich erklärt, wie unerklärbar und faszinierend sie sind. Sicher werden wir von keinem brauchbaren Pressesprecher je hören: „Alle reden von ihren Gefühlen. Was meinen die eigentlich damit?“ –Niemand will mit so einem Psychopathen zu tun haben!

Steven Pinker weist darauf hin, dass alle Emotionen an Reflexe gekoppelt sind, die wir nicht kontrollieren: Erröten, Erbleichen, Schwitzen, Zittern, Stammeln, Krächzen, Weinen, erhöhter Herzschlag, Atemfrequenz, Blutkreislauf, Speichel. Es ist nicht ungefährlich, den Herzschlag willentlich zu erhöhen oder gezielt zu Erröten. Deshalb müssen diese Dinge unbewusst ablaufen. Und genau deshalb sind sie auch geeignete Zeichen für Emotionen: Wenn jemand errötet, ist es ihm wirklich peinlich.

Alle diese Gefühlsregungen sind beobachtbar, sie können also auch einem Roboter einprogrammiert werden. Wenn sich der Roboter in die menschliche Gesellschaft integrieren soll, würden ihm diese Gefühlsregungen wichtige Vorteile bringen. Deshalb sind sie in der Evolution ja auch entstanden. Der Pressesprecher des Roboters würde immer mal wieder von Gefühlen überrumpelt. Er würde über seine Gefühle nachdenken, über seine Gefühle reden und würde sich energisch gegen die Feststellung wehren, er könne ja gar keine Gefühle haben, weil er ja nur ein Roboter sei.

Wir könnten die Gehirnströme dieses Roboters messen und wir würden feststellen, dass die analogen Areale aktiv werden wie bei uns, wenn er über seine Gefühle redet. Wir könnten nachmessen, dass es ihm tatsächlich das Herz zusammenkrampft, wenn er verletzt wird. Und wenn er verliebt ist, würde er ebenso verrückt wie ein Mensch.

Wenn der Roboter sich selbst durchforscht, so wird er nicht den geringsten Hinweis finden, dass er keine echten Gefühle habe. In dieser Hinsicht geht es ihm genauso wie mir.

4. Was die Wissenschaft leisten kann

Menschen kriegen also Schweissausbrüche, werden Rot, Erbleichen, Zittern, Stammeln, Krächzen, Weinen und behaupten, sie können diese Regungen nicht kontrollieren. Sie berichten darüber, wie seltsam diese Gefühle doch seien, sie preisen Gefühle als etwas ungeheuer Wichtiges und grübeln darüber.

Messbare Effekte dieser Art sind alles zum Thema Bewusstsein, was wissenschaftlich beschreibbar und erklärbar ist. Die drei grossen Fragen, nämlich: Weshalb spüre ich etwas? Weshalb kann ichbewusst darüber nachdenken? Und weshalb kann ich bewusst handeln? , diese Fragen können wissenschaftlich nicht beantwortet werden. Das mit diesen Fragen gemeinte intime Gefühl ist nur mir zugänglich. Es ist nicht objektiv und daher für die Wissenschaft nicht erreichbar.

Vielleicht kann ich wissenschaftlich erklären, weshalb andere voller Inbrunst behaupten, sie hätten ein Bewusstsein. Aber ich kann unmöglich erklären, weshalb ich ein Bewusstsein habe.

Vielleicht kann ich wissenschaftlich erklären, weshalb Verliebten das Herz in der Brust hüpft, weshalb Wütenden der Kragen platzt, weshalb Verlegene erröten, weshalb sie alle von diesen Dingen ins Innerste erschüttert sind und detailliert und ausschweifend von ihren ‚Gefühlen‘ berichten – oder auch nicht, wenn sie nicht die Gabe dazu haben. Vielleicht kann ich auch erklären, weshalb Philosophen Bücher über das Ich schreiben und weshalb Menschen darauf bestehen, sie hätten eine Seele. All diese Dinge sind objektiv feststellbar und damit den Wissenschaften zugänglich.

Aber mein Ich-Gefühl ist mehr als diese Worte. Da ist noch ein subjektiver Aspekt dabei, der nur mir gehört. Ich kann dieses Gefühl keinem anderen geben. Und könnte ich es jemandem geben, so hättest dieser nicht eine wissenschaftliche Erklärung für mein Ich-Empfinden, sondern eine dissoziative Störung.

Man könnte in einer Science-fiction Spekulation einmal annehmen, es gäbe eine Möglichkeit, das Ich-Gefühl einer anderen Person zu übertragen. Es ist durchaus möglich, dass es in Zukunft Gehirnprothesen gibt. Neurologen und Computertechniker arbeiten intensiv daran, Körperprothesen wie z. B. eine künstliche Hand mittels Gehirnströmen zu lenken. Mit Elektroden können heute schon die Gehirnströme so genau gemessen werden, dass damit ein vollständig gelähmter Patient einen Cursor auf dem Computerbildschirm bewegen kann.

Bei dem überragenden Erfolg, den die Handys hatten, wäre denkbar, dass auch Handys nächstens mit Gehirnströmen gesteuert werden. Vielleicht könnte man –was heute zwar noch völlig utopisch klingt- das Handy direkt ins Gehirn einbauen lassen. So könnten Gespräche mental geführt werden, möglicherweise wesentlich schneller als über den Umweg der Lautsprache.

Diese Utopie weiter gesponnen kämen wir vielleicht auf eine telepathische Handy Verbindung, mit der wir nicht nur sprachlich kommunizieren, sondern gleich ganze Gedankennetze und Gefühle mit anderen Menschen teilen könnten. Der Kommunikationspartner könnte dann meine Gefühle so einfach miterleben, wie er heute einen Brief liest.

Es geht hier überhaupt nicht darum, wie realistisch diese Utopie ist. Aber wenn so etwas möglich wäre, so könnte auch das Ich-Empfinden wissenschaftlich angegangen werden. Jeder Mensch könnte die Gefühle verschiedener Menschen miteinander vergleichen. Wie sich ein Gefühl anfühlt, wäre dann objektiv nachvollziehbar und damit ein Bereich, der wissenschaftlich untersucht werden könnte.

Vorläufig aber sollten wir uns auf das heute objektiv Beobachtbare beschränken. Es ist auch anzunehmen, dass diese Beschränkung immer bestehen bleibt.

Dass wir die Ich-Perspektive nicht wissenschaftlich untersuchen können, bedeutet aber nicht, dass es auch objektiv etwas gibt, was die Wissenschaft nicht erfassen kann. Es bedeutet nicht, dass es objektiv etwas wie ‚Seelen‘ gibt, die nicht zur materiellen Welt der Wissenschaft gehören. Wie das Ich-Bewusstsein aussieht, wenn man es von aussen betrachtet und beschreibt, kann die Wissenschaft ja sehr wohl erfassen. Mein persönliches Gefühl, der Steuermann meines Körpers zu sein, ist nicht ein Phänomen, das wissenschaftlich nicht erklärbar ist, sondern einePerspektive, die die Wissenschaft nicht einnehmen kann.

Weitere Artikel zu ähnlichen Fragen:

Experimente zum Bewusstein
Können Computer ein Bewusstsein haben?
Die Evolution der Sprache
Haben Tiere ein Bewusstsein?
Freier Willen

Weiterführende Bücher:

Roth Gerhard, ‘Aus Sicht des Gehirns‘ , (2003), Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main

Singer Wolf, ‘Vom Gehirn zum Bewusstsein’, (2006), Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
Ein kleines lesenswertes Büchlein zur Frage, wie Bewusstsein entsteht.

Philip Wehrli, ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, (2017), Nibe Verlag,

Das Universum, das Ich und der liebe Gott

In diesem Buch präsentiere ich einen Gesamtüberblick über mein Weltbild: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist das Leben auf der Erde entstanden? Was ist Bewusstsein und woher kommt es? Braucht es dazu einen Gott?
Viele Artikel dieses Blogs werden in diesem Buch in einen einheitlichen Rahmen gebracht, so dass sich ein (ziemlich) vollständiges Weltbild ergibt.

Leserunde bei Lovelybooks zum Buch ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, von Philipp Wehrli (abgeschlossen)

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