Schrödingers Katze

Schrödingers Katze

Visits: 1538

Philipp Wehrli, 2. Januar 2002

„Ich mag sie nicht, und es tut mir leid, dass ich jemals etwas mit ihr zu tun hatte“, sagte der österreichische Physiker Erwin Schrödinger einmal über die Quantentheorie. Um zu zeigen, wie absurd die Aussagen der Quantentheorie sind, bewies er durch exakte Anwendung der Theorie, dass eine Katze gleichzeitig tot und lebendig sein kann. Sie schwebt in einem überlagerten Zustand zwischen Tod und Leben, und welcher Zustand verwirklicht wird, entscheidet sich erst, wenn ein Experimentator sie anschaut. Hier wird das Experiment vorgestellt, das die Physiker zu solch haarsträubenden Ansichten führt.

Erwin Schrödinger, der selber massgeblich an der Begründung der Quantentheorie mitgewirkt hatte, ersann sich ein Gedankenexperiment, das er in seinem Artikel ‘Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik’ folgendermassen beschrieb:

„Man kann auch ganz burleske Fälle konstruieren. Eine Katze wird in eine Stahlkammer gesperrt, zusammen mit folgender Höllenmaschine (die man gegen den direkten Zugriff der Katze sichern muss): in einem Geigerschen Zählrohr befindet sich eine winzige Menge radioaktiver Substanz, so wenig, dass im Laufe einer Stunde vielleicht eines von den Atomen zerfällt, ebenso wahrscheinlich aber auch keines; geschieht es, so spricht das Zählrohr an und betätigt über ein Relais ein Hämmerchen, das ein Kölbchen mit Blausäure zertrümmert. Hat man dieses ganze System eine Stunde lang sich selbst überlassen, so wird man sich sagen, dass die Katze noch lebt, wenn inzwischen kein Atom zerfallen ist. Der erste Atomzerfall würde sie vergiftet haben. Die Psi-Funktion des ganzen Systems würde das so zum Ausdruck bringen, dass in ihr die lebende und die tote Katze (s.v.v) zu gleichen Teilen gemischt oder verschmiert sind. (Schr 1)

Zunächst zur Beruhigung aller Katzenfreunde: Das Experiment wurde niemals in dieser makaberen Art durchgeführt. Dennoch bereitete allein der Gedanke an dieses Experiment tausenden von Physikern schlaflose Nächte. In der Quantenphysik kommt es täglich vor, dass sich Dinge gleichzeitig in mehreren Zuständen befinden, die sich gegenseitig ausschliessen. Ein Beispiel ist das Phänomen beim Doppelspaltexperiment. Auch dort gilt: Solange niemand hinschaut, ist nicht entschieden, wo das Teilchen durchgeht, bzw. in welchem Zustand sich das Teilchen befindet. Das Teilchen geht durch beide Spalte und nimmt von beiden Wegen Information mit, die seinen weiteren Weg beeinflussen.

Ebenso ist auch ein radioaktives Atom, das niemand beobachtet, sowohl zerfallen als auch nicht zerfallen. Es ist in beiden Zuständen gleichzeitig und beide Zustände müssen mitberücksichtigt werden, wenn man über die Zukunft des Atoms etwas aussagen will. In der Quantenphysik tauchen viele solche Effekte auf. Ein Atom, das in einem Gitter gleichzeitig vor- und zurückschwingt, ein Kreisstrom, der gleichzeitig links und rechts herum fliesst oder Teilchen, die an verschiedenen Orten zugleich sind. Man sieht nie das eine und das andere. Sobald man hinschaut, entscheiden sich die Teilchen, wo sie sind und was sie tun. Aber an ihren Entscheidungen klebt immer noch eine Spur von all den verschiedenen Dingen, die sie auch hätten tun können und all den Wegen, die sie auch hätten gehen können. Wie beim Doppelspaltversuch gehören immer alle Wege zum Teilchen. Das Teilchen weiss von beiden Spalten, ob sie offen waren. Es kennt alle Wege und hat alle Dinge, die nur möglich sind, erlebt.

Kein vernünftiger Mensch wird das ohne weitere Belege glauben, und ich habe mich jahrelang über solche Behauptungen von Physikern geärgert, weil sie fast immer ohne Begründung geäussert werden. Ich werde hier ein typisches und durchführbares Quantenexperiment vorstellen, danach können Sie selbst entscheiden, was Sie von der Sprechweise der Physiker halten.

Das Bohrsche Atommodell besagt, Elektronen können sich im Atom nur auf ganz bestimmten Bahnen bewegen. Das ist ein einfaches erstes Modell, das sehr vieles erklärt. Aber im Grunde genommen ist es falsch. So wie das Elektron beim Doppelspaltversuch durch beide Spalte geht, kann es sich auch im Atom sowohl auf der oberen als auch auf der unteren Bahn befinden. Es kann also viel und wenig Energie haben.

Um dies zu zeigen, nimmt man zunächst ein Gas von Atomen und bestrahlt es kurz mit Photonen von kleiner Energie, welche die Elektronen des Atoms gerade vom Grundzustand, also von der innersten Elektronenbahn, auf die zweitinnerste heben. Kurz darauf sinken die Elektronen wieder in den Grundzustand zurück und emittieren dabei ein Photon von der gleichen Energie wie das aufgenommene. Die Strahlung nimmt dabei gleichmässig (logarithmisch) ab, ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall von Atomen. Wenn wir getrennt davon die gleiche Sorte Gas mit Photonen einer höheren Energie bestrahlen und die zwei Gase mischen, so bleibt das Resultat dasselbe, nur dass zur Hälfte energiereichere Photonen abgestrahlt werden.

Nun könnten wir das Gas aber auch gleichzeitig mit den beiden Arten von Photonen bestrahlen. Wir wissen dann nicht, auf welche Bahn die Elektronen gehoben werden. Wir würden auch hier erwarten, dass etwa die Hälfte der Atome auf die zweite und die andere Hälfte auf die dritte Bahn springt. Wieder sollte das Licht gleichmässig abgestrahlt werden. Das geschieht aber nicht. Das Licht kommt plötzlich pulsierend. Atome in einem überlagerten Zustand verhalten sich völlig anders als ein Gemisch von zwei Sorten Atome. Wie ist dies zu erklären?

Wie bei fast allen seltsamen Quantenphänomenen hilft uns das Wellenmodell. Wenn zwei Wellen mit verschiedenen Wellenlängen überlagert werden, so treten Schwebungen auf, wie wir sie vom Stimmen von Instrumenten kennen: Liegt der Ton des Instrumentes nahe am Vergleichston, so klingt der Gesamtton periodisch lauter und leiser. Je näher die zwei Töne beisammen sind, desto länger ist die Periode zwischen laut und leise.

Abbildung 1 Wenn sich zwei Wellen mit verschiedenen Wellenlängen überlagern, kommt es zu Schwebungen. D. h., die Intensität der Gesamtwelle schwankt periodisch.
Oben: Schallwelle, eine reine Sinusschwingung (blau).
Mitte: Ein leicht höherer Ton (rot).
Unten: Die Überlagerung der zwei Schallwellen ergibt eine sogenannte Schwebung. Der Ton ist abwechselnd laut und leise 
(violett).

Genau denselben Effekt können wir auch bei den Photonen des letzten Versuches beobachten (Pau 1). Photonen von unterschiedlicher Energie haben unterschiedliche Wellenlängen. Wenn die Atome mit beiden Arten von Energie gleichzeitig angeregt werden, überlagern sich die unterschiedlichen Wellen und die Photonen erscheinen nicht mehr gleichmässig, logarithmisch abnehmend, sondern periodisch abwechselnd mal gehäuft, mal fast nicht. Die Überlagerung von zwei Zuständen, die sich ausschliessen, führt zur Schwebung.

Weshalb behaupte ich, jedes einzelne Atom habe beide Energien und jedes einzelne Photon beide Frequenzen? Könnte nicht die Hälfte der Photonen niedrige und die andere Hälfte eine höhere Frequenz haben? Tatsächlich können wir bei einzelnen Atomen nachschauen, welche Energie sie gerade haben (siehe dazu Quanten-Zenoneffekt). Wenn wir dies tun, finden wir das Elektron immer entweder auf der äusseren oder auf der inneren Bahn. Nur verschwindet dann gleichzeitig auch die Schwebung, so wie beim Doppelspaltversuch die Interferenz verschwindet, wenn wir nachschauen, durch welchen Spalt das Elektron geht. Nur wenn unbestimmt ist, welche Energie die einzelnen Atome haben, sehe ich die Schwebung. Hätte ich eine Mischung von einigen Atomen im energiereichen Zustand und einigen im energieärmeren, so gäbe es die Schwebung nicht. Eine solche Mischung sieht also völlig anders aus als eine Menge von Atomen, die sich alle in beiden Zuständen gleichzeitig befinden.

Übrigens kann heute auch ein einzelnes Atom auf diese Weise gleichzeitig in zwei verschiedene angeregte Zustände versetzt werden. Dieser Effekt spielt eine wichtige Rolle bei den Quantencomputern, die vermutlich im nächsten Jahrhundert eine weitere technologische Revolution auslösen werden.

Offene Fragen

Im Zusammenhang mit Schrödingers Katzenexperiment werden heute vor allem zwei Fragen diskutiert:

1.) Wie gross kann eine Katze sein, dass sie noch als Überlagerung von Wellen beschrieben werden muss? In unserem Alltag erleben wir nie, dass eine tote und eine lebende Katze miteinander interferieren. Ich kann also immer sagen, die Katze sei entweder lebend oder tot. Aber bei Elementarteilchen gehören Interferenzen zum Alltag. Bei Elementarteilchen spielen immer alle Wege, die überhaupt nur möglich sind eine Rolle. Weshalb also sehen wir Katzen nie als überlagerte Zustände oder wenigstens als Interferenzmuster?

Die Periode der Schwebung ist umso grösser, je näher die Energien -und damit die Wellenlängen- zusammenliegen. Bei makroskopischen Zuständen ist der Energieunterschied sehr rasch so gross, dass die Schwebung überhaupt nicht mehr sichtbar ist. Wenn unsere Katzen auch Überlagerungen einer toten und einer lebenden Katze sind, so würden wir dies gar nicht bemerken.

2.) Was geschieht mit der ‘leeren Welle’? Irgendwann wird in einem kleinen Teil der Welle ein Teilchen gefunden. Was geschieht mit dem Rest der Welle? Es ist unbefriedigend zu glauben, der Rest der Welle woge einfach bis in alle Ewigkeit durchs Weltall, ohne im Geringsten beobachtbar zu sein. Aber ebenso unbefriedigend ist die Vorstellung, die Wellenteile, die ja Milliarden von Lichtjahren auseinander liegen können, ‘kollabieren’ gerade genau in dem Moment, in dem bei uns ein Teilchen gefunden wird.

Es sind viele Bücher über Schrödingers Katze geschrieben worden, und die Debatte ist keineswegs abgeschlossen, auch wenn einige Physiker und Philosophen eine Interpretation gefunden haben, mit der sie persönlich zufrieden sind.

Weiterführende Artikel auf dieser Homepage:

Sind Dinge, die niemand beobachtet, real?
Viele-Welten-Interpretation
Einstein-Podolsky-Rosen Experiment

Weiterführende Bücher:

Audretsch Jürgen / Mainzer Klaus (Hrsg), ‘Wieviele Leben hat Schrödingers Katze?’, Spektrum Akademischer Verlag, (1990), Heidelberg / Berlin / Oxford
Verschiedene Autoren interpretieren die Quantentheorie anhand der aktuellen Experimente. Sehr anregend. Die entscheidenden Argumente sind aber nur nachvollziehbar, wenn man die Quantentheorie schon kennt und vor mathematischen Formeln nicht zurückschreckt.

Gribbin John, ‘Auf der Suche nach Schrödingers Katze – Quantenphysik und Wirklichkeit’, (1984), R. Piper GmbH & Co. KG, München
Gribbin erzählt die Geschichte der Quantenphysik und schildert, wie ihre Entdecker die neue Physik interpretierten.

Paul Harry, ‘Photonen- Eine Einführung in die Quantenoptik’, (1999), Teubner Studienbücher, Leipzig
Etwas vom Besten, was zur Quantentheorie geschrieben wurde! Paul stellt die schönsten Experimente der Quantenoptik vor und analysiert scharfsinnig, weshalb die klassische Physik versagen muss. Die ideale Einführung für alle, die nicht nur rechnen, sondern die Natur auch verstehen wollen. Benützt nur sehr einfache Mathematik.

Selleri Franco, (1990) ‘Die Debatte um die Quantentheorie’, Vieweg, Braunschweig
Sellerie zeigt die Interpretationsprobleme, die durch die Quantentheorie aufgeworfen wurden und erklärt, wie sie von den Begründern der Theorie gelöst wurden und wie die Interpretationen heute z. T. mit Experimenten überprüft werden können. Dabei verwendet er ziemlich abstrakte Mathematik. Man kann zwar über die meisten Formeln hinweglesen, aber das Buch verliert dabei natürlich etwas.

Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, ‘Quantenphilosophie – Reihe Verständliche Forschung’, Neuser / Neuser-von Oettingen (Herausgegeber)
Wer sich für die Philosophie hinter der Quantentheorie interessiert, findet hier ein breites Spektrum anregender Artikel, unter anderem von Schrödinger, Gamov, d´Espagnat, Cassidy und de Witt. Die Artikel sind kurz, prägnant und allgemeinverständlich und werden mit vielen schönen Grafiken illustriert. Hier findet man Schrödingers Originaltext zum Gedankenexperiment mit der Katze.

Philip Wehrli, ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, (2017), Nibe Verlag,

Das Universum, das Ich und der liebe Gott

In diesem Buch präsentiere ich einen Gesamtüberblick über mein Weltbild: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist das Leben auf der Erde entstanden? Was ist Bewusstsein und woher kommt es? Braucht es dazu einen Gott?
Viele Artikel dieses Blogs werden in diesem Buch in einen einheitlichen Rahmen gebracht, so dass sich ein (ziemlich) vollständiges Weltbild ergibt.

Leserunde bei Lovelybooks zum Buch ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, von Philipp Wehrli (abgeschlossen)

Rezensionen bei Lovelybooks
Rezensionen bei Amazon
Film-Präsentation zum Buch
Nibe Verlag

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert