Seelenwanderung durch Organverpflanzung?

Seelenwanderung durch Organverpflanzung?

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Philipp Wehrli, 4. November 2007, ergänzt durch den Abschnitt ‘Bauchgefühl’ am 7. Dezember 2014

Viele Patienten haben nach einer Organtransplantation das Gefühl, ihre Persönlichkeit habe sich durch die Operation verändert. Aus medizinischer Sicht ist das Herz aber lediglich eine Pumpe, mit einer rein mechanischen Funktion. Für Emotionen und Entscheidungen ist nach Meinung vieler Chirurgen allein das Gehirn zuständig, auch wenn es sich um ‘Herzensangelegenheiten’ handelt. Experimente zeigen aber deutlich, dass das Herz bei ‘Herzensangelegenheiten’ sehr stark mitredet. Es wäre deshalb sehr erstaunlich, wenn eine Herztransplantation oder ein Herzschrittmacher keinen Einfluss auf die Gefühle des Patienten hätte.

Viele Patienten von Organtransplantation empfinden nach der Operation anders als davor. Sie haben das Gefühl, mit dem transplantierten Organ sei ein Stück der Seele des Organspenders in ihren Körper gewandert. Das klingt auf den ersten Blick esoterisch. Auf den zweiten Blick müsste man aber genau das erwarten. Zwei Experimente zeigen nämlich, wie stark das Herz die Gefühle beeinflusst.

1. Experiment: Zwei Brücken – zwei Reaktionen (Kas 1)

Das erste Experiment ist der legendäre Brückenversuch des Psychologen Arthur Aron. Eine attraktive Mitarbeiterin begab sich in den Capilano Canyon, einen großen Naturpark in der Nähe von Vancouver, Kanada. Dort führte sie eine belanglose Umfrage unter den männlichen Parkbesuchern durch.

Abbildung 1 Illustration zum Brückenexperiment.

Für einige Befragungen stellte sie sich auf eine drei Meter hohe Holzbrücke, für andere auf die “Capilano Canyon Suspension Bridge”, die mit 137 Metern längste Fußgängerhängebrücke der Welt, die in 70 Metern Höhe über einen rauschenden Fluss führt. Nach der Umfrage gab die Frau den Männern noch auf der Brücke ihre Telefonnummer – für den Fall, dass sie mehr über das Projekt erfahren wollten. Wie nicht anders zu erwarten, nutzten manche der Männer das Angebot. Dabei stellten die Forscher verblüfft fest, dass die Männer von der Hängebrücke viermal häufiger zum Telefon griffen als jene von der Holzbrücke.

Wie kommt das? -Die Männer auf der wackligen Hängebrücke weit über der Schlucht sind in Gefahr. Ihr Gehirn meldet diese Gefahr den Nebennieren, welche Adrenalin ins Blut abgeben. Das Adrenalin verteilt sich schlagartig im ganzen Körper und schlägt Alarm. Es regt das Herz an, schneller zu schlagen, der Blutdruck erhöht sich, die Atmung heftiger. Das ist die Botschaft, die das Gehirn erhält: “Wow, dein ganzer Körper ist in Aufregung, dein Herz schlägt wie irr. Da muss irgendwas los sein!”

Das Gehirn hat nun die Aufgabe, zu interpretieren, was los ist. Es sieht die Hängebrücke, es sieht aber auch die Frau, die die Umfrage gemacht hat. Gerne sagt es nun: “Wow diese Frau bringt meinen Körper so in Wallung, das will ich wieder erleben. Ich rufe sie an!”

2. Experiment: Der Valins-Effekt

Tatsächlich muss das Herz nicht einmal heftig schlagen. Es reicht, wenn die Versuchsperson glaubt, dass ihr Herz schneller schlage. Dies zeigte der Psychologe Stuart Valins im Jahr 1966 im folgenden Experiment.

Valins zeigte männlichen Versuchspersonen zehn Bilder attraktiver halbnackter Frauen. Die Versuchsteilnehmer wurden dabei an eine Apparatur angeschlossen die angeblich ihren Herzschlag aufzeichnete. Tatsächlich machte der Apparat gar nichts. Gleichzeitig erhielten sie über Kopfhörer als Rückmeldung Herztöne vorgespielt, die aber nicht ihre eigenen waren. Ein Zufallsgenerator wählte nun willkürlich eine Foto aus, bei der sich der einspielte Herzschlag stark erhöhte. Die Versuchspersonen sollten dadurch zum Glauben verführt werden, sie seien bei einer bestimmten Foto speziell erregt.

Die Kontrollgruppe kriegte dieselben Geräusche zu hören, während sie die Fotos anschaute, der Versuchsleiter bezeichnete die Herztöne aber lediglich als störendes Hintergrundgeräusch. Nach dem Versuch sollten die Versuchspersonen bewerten, wie attraktiv die Frauen auf den Fotos seien. Außerdem durften sie Fotos auswählen, die sie mit nach Hause nehmen konnten.

Das Experiment zeigte, dass die Gefühle der Probanden stark von den Herztönen beeinflusst wurden, wenn sie glaubten, sie hörten ihr eigenes Herz. Wenn ein Mann glaubt, sein Herz schlage heftig, so erscheint ihm die Frau wesentlich attraktiver.

Dieser Effekt erwies sich sogar als dauerhaft. Einen Monat später wurden die Probanden noch einmal befragt. Man erklärte ihnen, dass die Herztöne nicht die ihren waren. Trotzdem blieben die Männer bei ihren Entscheiden und fanden die damals gewählten Frauen noch immer die attraktivsten.

Das Experiment funktioniert übrigens nicht nur, wenn Männer halbnackte Frauen anschauen, sondern auch bei weniger emotional beladenen Dingen, wie z. B. Landschaftsbildern. Ausserdem bedeutet ein schnellerer Herzschlag auch nicht immer ein positives Gefühl. Wenn bereits negative Gefühle vorliegen, können diese sogar noch verstärkt werden. Die körperliche Erregung wird dann einfach anders interpretiert.

3. Überträgt ein gespendetes Organ auch einen Teil der Seele?

Es ist also erwiesen, dass das Gehirn zumindest gewisse Entscheide nicht im Alleingang fällt, sondern im regen Austausch mit verschiedenen Organen steht. Nach den geschilderten Experimenten wäre es sehr erstaunlich, wenn eine Herztransplantation oder ein Herzschrittmacher die Gefühle der Patienten nicht verändern würde.

Angenommen, einem Mann werde ein Spenderherz eingepflanzt. Die Operation verläuft gut und einige Zeit nach der Operation ist er medizinisch gesehen vollkommen gesund. Nun begegnet der Mann einer attraktiven Frau, was ihn vor der Operation gewaltig erregt hätte. Das Gehirn des Mannes sendet sofort unbewusst dem Herz über die Nebennieren die Nachricht, dass Grund besteht, erregt zu sein. Das Herz reagiert aber nicht mehr wie früher, es schlägt kaum schneller oder heftiger. Vielleicht war der Spender ein Sportler, dessen Herz auch bei grosser Erregung nur wenig schneller geschlagen hatte. Das Gehirn des Sportlers hätte diese minime Verschnellerung verstanden, und richtig als grosse Erregung interpretiert. Für das Gehirn des Organempfängers aber gehört so eine kleine Verschnellerung zum Alltag. Es registriert die Erregung gar nicht und es fällt ihm nicht ein, sich zu verlieben.

Nach einigen solchen Vorfällen müsste der Patient unweigerlich das Gefühl kriegen, er könne sich nicht wie früher verlieben, irgend etwas sei mit seinen Gefühlen nicht in Ordnung. Dies scheint mit den Empfindungen verschiedener Organempfänger überein zu stimmen, die das Gefühl haben, das fremde Organ hätte ihre Persönlichkeit verändert.

Ob die Persönlichkeitsveränderungen tatsächlich so weit gehen, wie im obigen Link geschildert wird, und ob es möglich ist, dass der Organempfänger Eigenschaften des Spenders übernimmt, kann ich nicht beurteilen. Es wäre aber sehr verwunderlich, wenn eine Herztransplantation überhaupt keinen Einfluss auf die Emotionen hätte. Bei anderen Organen könnte man sich Ähnliches vorstellen, da bekanntlich alle Organe mehr oder weniger stark mit dem Gehirn interagieren, sei es über Signale über die Nerven, sei es indem sie Hormone ausschütten.

Die Seele kann nicht losgelöst vom Körper gesehen werden. Sie ist auch nicht nur ein Produkt des Gehirns. Die Seele hängt mit allen Teilen des Körpers zusammen und kann nicht losgelöst vom Körper gesehen werden. In den Worten Sigmund Freuds:

“Das Ich ist vor allem ein körperliches.”

4. Über das Bauchgefühl

Es gibt gute Gründe zur Annahme, dass der Darm noch wesentlich grösseren Einfluss auf unsere Psyche hat, als das Herz. Giulia Enders bringt es auf den Punkt (End 1): “Das Gehirn braucht diese Information, um sich ein Bild davon machen zu können, wie es im Körper so zugeht. Denn es ist so isoliert und geschützt wie sonst kein anderes Organ. Es sitzt in einem knöchernen Schädel, ist umhüllt von einer dicken Gehirnhaut und filtert jeden Tropfen Blut noch einmal durch, bevor er die Hirnbereiche durchströmen darf. Der Darm dagegen befindet sich mitten im Getümmel.”

Im Darm ist sichtbar, ob der Mensch genügend Energiereserven hat, um einen Kampf aufzunehmen oder eine Wanderung anzutreten. Hier ist sichtbar, wie sich das letzte Mittagessen auswirkt. Aber auch, ob der momentane Stress eine geordnete Verdauung zulässt. In Maslows Pyramide steht das Essen und die anderen Grundbedürfnisse an der Basis. Ein hungernder Mensch denkt nicht an Selbstverwirklichung und verzichtet für Essen gerne auf Wertschätzung. Er setzt seine sozialen Bedürfnisse aufs Spiel und bringt sich sogar in Gefahr. Wie drängend der Hunger ist, weiss aber niemand besser als der Darm. Das heisst: Es ist letztlich der Darm, der dem Gehirn sagt, es soll Gefahren eingehen, um an Essen zu kommen!

Ja, so ist die Rangordnung. Das Gehirn haben wir, um Nahrung herbei zu schaffen. Ein Lebewesen, das gut ernährt ist, hat seine Ziele weitgehend erreicht. Der Darm entscheidet, ob das Soll erfüllt ist. Der Darm ist nach dem Gehirn dasjenige Organ, das am meisten Nervenzellen enthält. Es enthält so viele Nervenzellen, dass manche Leute vom ‘Darmhirn’ sprechen. Anders als das Gehirn ist der Darm aber über eine riesige Oberfläche mit der Aussenwelt verbunden. Der Darm ist das grösste sensorische Organ des Körpers. Kein Organ weiss so gut Bescheid über die lebenswichtigen Fragen zur Ernährung, Krankheitserreger und Energieverbrauch. All diese Informationen meldet er über den Vagusnerv dem Gehirn, nämlich der Insula , dem limbischen System, dem präfrontalen Cortex, der Amygdala, dem Hippocampus und dem anterioren cingulären Cortex.

Über den Vagusnerv hat der Darm Einfluss auf
– den Geruchs- und Geschmackssinn, sowie die Bewertung von Schmerzen (Insula)
– Emotionen und Triebverhalten (limbisches System)
– die emotionale Bewertung von Gedächnisinhalten und Sinnesreizen (präfrontalen Cortex)
– die Bewertung und Wiedererkennung von Gefahren (Amygdala)
– die Überführung vom Kurzzeit ins Langzeitgedächtnis (Hippocampus)
– die rationale Entscheidungsfindung (anteriorer cingulärer Cortex)

Wir könnten es als Demütigung empfinden, dass der Darm dem Grosshirn sagt, was es zu tun hat. Aber wer diese Demütigung nicht akzeptiert und die Rangordnung umzukehren versucht, leidet an Magersucht und stirbt möglicherweise daran.

Es kommt aber noch schlimmer, wie das folgende Experiment zeigt.

5. Unsere Darmbakterien prägen unseren Charakter

Das folgende Experiment, über dessen ethische Aspekte wir hier nicht diskutieren wollen, zeigt, dass zumindest Mäuse noch nicht einmal nur vom Darm gesteuert werden, sondern sogar von Darmbakterien. Auch unter Mäusen gibt es depressive Persönlichkeiten. Werden depressive Mäuse ins Wasser geworfen, so schwimmen sie weniger hoffnungsvoll als gesunde, sondern geben rasch auf. So kann man die Wirkung eines Antidepressivums an Mäusen testen. Wenn depressive Mäuse nach der Einnahme des Antidepressivums länger schwimmen als davor, ist dies ein Hinweis, dass das Antidepressivum möglicherweise wirkt.

Nun hat John Cryan mit seinem Team diesen Versuch nicht mit einem Antidepressivum gemacht, sondern er hat der Hälfte seiner Mäuse ein Bakterium gefüttert, das den Darm pflegt: Lactobazillus rhamnosus JB-1. Diese so behandelten Mäuse schwammen länger und mutiger und hatten weniger Stresshormone im Blut. Ausserdem waren die Mäuse nun auch in Gedächtnis- und Lerntests deutlich besser als die unbehandelten. Wenn die Wissenschafter aber den Vagusnerv durchtrennten, also die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn unterbrachen, verschwand der Unterschied zwischen den Mäusegruppen.

Stephen Collins und sein Team führten diesen Versuch mit zwei Stämmen von Mäuse durch. Die Mäuse aus dem einen Stamm waren mutiger und erkundungsfreudiger als die anderen, die eher ängstlich waren. Die Wissenschafter gaben allen Tieren Antibiotika, die nur im Darm wirken und löschten so die gesamte Darmflora aus. Danach fütterten sie den Mäusen ein Mix aus den Darmbakterien des jeweils anderen Stammes. Und mit den Bakterien vertauschten sich auch die Charaktere der Tiere: Die vormals ängstlichen waren nun plötzlich mutig und die mutigen ängstlich.

Diese Experimente wurden nur an Mäusen und erst in sehr kürzlich durchgeführt. Zu Versuchen an Menschen wurde erst 2013 eine Studie veröffentlicht. Nach der vierwöchigen Einnahme von einem Mix aus bestimmten Bakterien waren einige Hirnareale deutlich verändert, darunter vor allem Bereiche für Gefühls- und Schmerzverarbeitung (End 1).

Weiterführende Artikel auf dieser Homepage:

Wozu ist Bewusstsein gut?
Experimente und Fakten zum Bewusstsein
Können Computer ein Bewusstsein haben?

Weiterführende Bücher:

Philip Wehrli, ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, (2017), Nibe Verlag,

Das Universum, das Ich und der liebe Gott

In diesem Buch präsentiere ich einen Gesamtüberblick über mein Weltbild: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist das Leben auf der Erde entstanden? Was ist Bewusstsein und woher kommt es? Braucht es dazu einen Gott?
Viele Artikel dieses Blogs werden in diesem Buch in einen einheitlichen Rahmen gebracht, so dass sich ein (ziemlich) vollständiges Weltbild ergibt.

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