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Philipp Wehrli, 2. Januar 2002
Der Doppelspaltversuch zeigt, dass ein unbeobachtetes Teilchen mehrere Wege gleichzeitig geht. Beim Tunneleffekt kann ein Teilchen durch ein Gebiet hindurch fliegen, in dem es nie beobachtet wird. Beides funktioniert nur, solange das Teilchen keine Spuren hinterlässt und nicht beobachtet wird. Physiker können ‘Fallen’ bauen, in denen sie ein Teilchen einsperren, indem sie es immer wieder beobachten.
In gewissen Fällen kann man einem einzelnen Atom direkt ansehen, ob es angeregt ist oder nicht. Betrachten wir dazu ein Atom mit einem Elektron, das sich in drei verschiedenen Anregungszuständen befinden kann. Der erste Zustand ist der Grundzustand. Egal, wo sich das Elektron am Anfang befindet, wenn wir lange genug warten, fällt es in diesen ersten Zustand hinunter. Der zweite Zustand ist ein bisschen höher und wir nehmen an, es dauert ziemlich lange, bis das Elektron von 2 nach 1 hinunterfällt. Wenn es dies tut, dann sendet es gleichzeitig ein Photon mit kleiner Energie aus, also langwelliges Licht (ich nenne die Wellenlänge λ2, sprich: Lambda 2). Der dritte Zustand ist der energiereichste und wir nehmen an, das Elektron bleibe nie lange im dritten Zustand. Es fällt immer sehr rasch wieder nach 1 hinunter, wobei es ein Photon von hoher Energie, also ein kurzwelliges, aussendet (ich nenne die Wellenlänge λ1). Diese Art, Licht abzustrahlen, nennt man Fluoreszenz. Zudem soll der Übergang von 2 nach 3 nicht möglich sein und umgekehrt. Dies kommt oft vor, weil das Photon immer den Spin 1 fortträgt. Wenn die Zustände 2 und 3 die gleiche Spinzahl haben, kann ein Übergang von 2 nach 3 nicht auf direktem Weg erfolgen, weil dann kein Photon abgestrahlt werden könnte, ohne den Gesamtspin zu verändern.
Wir können die Fluoreszenz anregen, indem wir das Elektron mit einem Laser mit der Wellenlänge λ1 bestrahlen. Dadurch heben wir es immer gleich wieder in den dritten Zustand hinauf, sobald es in den Grundzustand heruntergefallen ist. Das Elektron sendet das empfangene Licht kurz danach in eine beliebige Richtung aus und fällt in den Grundzustand zurück. Wenn sich ein Elektron im Grundzustand befindet und wir es mit Licht der Wellenlänge λ1 bestrahlen, dann fluoresziert das Atom und sendet dabei Licht in alle Richtungen.
Ganz anders, wenn sich das Elektron auf der Bahn 2 befindet. Dann nämlich kann es Licht der Wellenlänge λ1 gar nicht aufnehmen. Deshalb fluoresziert das Atom nicht. So sehen wir daran, ob das Atom fluoresziert oder nicht, in welchem Zustand es sich gerade befindet.
So wie wir das Elektron mit λ1 in die Bahn 3 heben, könnten wir es mit λ2 in die Bahn 2 heben. Ich habe aber ein Atom gewählt, bei dem es sehr lange dauert, bis das Elektron den Sprung in Bahn 2 endlich wagt und nochmals ziemlich lange, bis es wieder in die erste Bahn zurückfällt. Nur die Übergänge von 1 nach 3 und umgekehrt gehen schnell.
Abbildung 1 Atom mit drei Energieniveaus. Zwischen den Bahnen 1 und 3 wird Licht der Wellenlänge λ1 absorbiert, bzw. remittiert, zwischen den Bahnen 1 und 2 Licht der Wellenlänge λ2. Ein Übergang von 2 nach 3 oder umgekehrt ist nicht möglich.
Wie das Experiment zu Schrödingers Katze zeigt, wäre es nun völlig falsch zu glauben, dass das Elektron immer genau auf einer Bahn ist. Wie beim Doppelspaltversuch ist das Elektron nur dann genau auf einer Bahn, wenn wir schauen, auf welcher Bahn es ist. Wenn wir das Elektron im Zustand 3 zurücklassen und nicht schauen, was es tut, dann gibt es nach einiger Zeit eine Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Elektron noch immer in der Bahn 3 ist. Es gibt eine andere Wahrscheinlichkeit, dass es bereits wieder in den Grundzustand 1 zurückgefallen ist und eine dritte Wahrscheinlichkeit, dass es unterdessen schon in den Zustand 2 angeregt wurde. Für alle drei Wahrscheinlichkeiten gibt es eine Welle und alle drei Wellen müssen berücksichtigt werden.
Ein Elektron im Zustand 1, das mit λ2 bestrahlt wird, springt nicht schlagartig in den Zustand 2. Es teilt vielmehr langsam seine ‘Aufenthaltswelle’ und verschiebt diese nach und nach in den Zustand 2, bis es schliesslich fast sicher im Zustand 2 ist. -Vielleicht denken Sie, das ist Unsinn. Wie soll ein Teilchen in zwei verschiedenen Zuständen gleichzeitig sein? Wenn wir hinschauen würden, würden wir doch sehen, wo es ist!
Wir können hinschauen, indem wir das Atom ständig mit Licht der Wellenlänge λ1 bestrahlen. Solange das Atom fluoresziert, ist es sicher nicht im Zustand 2. Wenn die Fluoreszenz aufhört, ist es im Zustand 2. Wenn wir dies tun, wird das Elektron nie auf die Bahn 2 hinaufspringen. Jedesmal, wenn wir hinschauen und sehen, dass das Elektron noch auf Bahn 1 ist, dann wird auch seine Aufenthaltswelle vollständig in die Bahn 1 zurückgeworfen. Das Elektron kann den Gang durch das verbotene Gebiet zwischen den Bahnen nur absolvieren, wenn es nicht dabei beobachtet wird und wenn es seine Aufenthaltswelle langsam über beide Bahnen verschmieren kann.
Der hier beschriebene Effekt erinnert an ein Paradoxon, das der griechische Philosoph Zenon von Elea (um 430 v. Chr.) entdeckte. Zenon meinte: „Zu jedem Zeitpunkt, an dem wir einen fliegenden Pfeil anschauen, ist der Pfeil an einem ganz bestimmten Ort. Der Pfeil ist also immer an einem genau bestimmten Ort. Also ruht der Pfeil.“
Wie wir gesehen haben, gibt es zumindest gewisse Dinge, die sich nicht bewegen können, wenn wir sie beobachten. Im Andenken an Zenon nennt man dieses Phänomen den Quanten-Zenon-Effekt.
Weiterführende Artikel auf dieser Homepage:
Der Beobachter in der Quantentheorie
Schrödingers Katze
Weiterführende Bücher:
Feynman / Leighton / Sands, ‘Feynman Vorlesungen über Physik, Band III: Quantenmechanik’, (1988), Ouldenbourg, München / Wien
Wer Physik studiert, kennt und schätzt Feynman. Sehr ausführlich, aber auch sehr originell und didaktisch geschickt erklärt der Nobelpreisträger die Quantenmechanik. Das Buch ist das Vorlesungsskript für die Grundvorlesung und setzt demgemäss ein wenig Mathematik voraus. Feynman zeigt, wie man mit Spins rechnet und rechnet das obige Beispiel vor.
Paul Harry, ‘Photonen- Eine Einführung in die Quantenoptik’, (1999), Teubner Studienbücher, Leipzig
Etwas vom Besten, was zur Quantentheorie geschrieben wurde! Paul stellt die schönsten Experimente der Quantenoptik vor und analysiert scharfsinnig, weshalb die klassische Physik versagen muss. Die ideale Einführung für alle, die nicht nur rechnen, sondern die Natur auch verstehen wollen. Benützt nur sehr einfache Mathematik.
Feynman, Richard P., ‘QED – Die seltsame Theorie des Lichts und der Materie’, (1992), Serie Piper
Eine wunderbar einfache und anschauliche Erklärung der Quantenelektrodynamik (QED) von einem ihrer Begründer. Praktisch ohne Formeln, sondern alleine mit Pfeilen und Grafiken zeigt Feynmann, was bei der QED eigentlich gemacht wird. Ein Muss für alle, die sich für Quanten interessieren!
Philip Wehrli, ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, (2017), Nibe Verlag,
In diesem Buch präsentiere ich einen Gesamtüberblick über mein Weltbild: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist das Leben auf der Erde entstanden? Was ist Bewusstsein und woher kommt es? Braucht es dazu einen Gott?
Viele Artikel dieses Blogs werden in diesem Buch in einen einheitlichen Rahmen gebracht, so dass sich ein (ziemlich) vollständiges Weltbild ergibt.
Leserunde bei Lovelybooks zum Buch ‘Das Universum, das Ich und der liebe Gott’, von Philipp Wehrli (abgeschlossen)
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