Moderation von Neutronen und Resonanz

Moderation von Neutronen und Resonanz

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Philipp Wehrli, 2. Janaur 2002

Weshalb müssen in Atomkraftwerken die Neutronen abgebremst werden, damit eine Kettenreaktion zustande kommt? Wie kann es sein, dass langsame Teilchen eine grössere Zerstörung anrichten, als schnelle? Woher wissen wir, dass die Naturgesetze in fernen Galaxien gleich sind wie bei uns? All diese Effekte hängen mit der Resonanz zusammen, die wir aus der Akustik bestens kennen. Auch bei der Entdeckung neuer Teilchen spielt die Resonanz eine entscheidende Rolle.

1. Moderation von Neutronen

Im Alltag sind wir gewohnt, dass wir durch Werfen z. B. einer Billardkugel eine umso grössere Zerstörung anrichten können, je stärker wir werfen. In der Quantenmechanik ist dies anders. Oft fliegen schnelle Teilchen ungehindert durch einen Stoff hindurch, während dieselben Teilchen verlangsamt im Stoff eine Reaktion auslösen können. Zum Beispiel lässt Bor (B) in einem BF3-Gas schnelle Neutronen ungehindert passieren, es spaltet jedoch ein α-Teilchen ab, wenn es von einem langsamen Neutron getroffen wird.

105B + 10n 7 3Li + 4

Da das α-Teilchen geladen ist, kann dieser Vorgang gemessen werden. Langsame Neutronen ionisieren also BF3-Gas und lösen dadurch eine sichtbare Reaktion aus, schnelle dagegen nicht. So können wir mit BF3-Gas einen Detektor für langsame Neutronen bauen.

Ein anderes Element, das schnelle Neutronen passieren lässt, langsame aber absorbiert, ist Cadmium (Cd). Dies sehen wir an den folgenden Versuchen.

Abbildung 1a-e)
a.) Eine Quelle schiesst schnelle Neutronen auf einen Detektor mit BF3-Gas. Weil der Detektor nur langsame Neutronen messen kann, geschieht nichts.

b.) Zwischen die Neutronenquelle und den Detektor wird eine Paraffinplatte gestellt, welche einige der Neutronen abbremst. Man sagt, die Neutronen werden ‘moderiert’. Die abgebremsten Neutronen werden im Detektor gemessen, die anderen nicht.

c.) Wird nun eine Cadmiumplatte vor die Paraffinplatte gestellt, zeigt der Detektor unvermindert langsame Neutronen an. Die Cadmiumplatte lässt also die schnellen Neutronen ungehindert hindurch.

d.) Wird aber eine Cadmiumplatte hinter die Paraffinplatte gestellt, so zeigt der Detektor nichts mehr an. Das Cadmium lässt also zwar die schnellen Neutronen hindurch, aber nicht die langsamen. Wenn das Cadmium die Neutronen aufhält, so nimmt es auch ihre Bewegungsenergie auf. Es erhält dadurch einen Rückstoss, den es bei schnellen Neutronen nicht erhält

e.) Mit einer weiteren Paraffinplatte nach dem Cadmium könnten weitere Neutronen verlangsamt werden, die wieder gemessen werden können.

Die Moderation von Neutronen spielt bei Kernkraftwerken eine entscheidende Rolle. Bei der Spaltung eines Uran 235 Atoms werden zwei bis drei schnelle Neutronen freigesetzt. Damit eine Kettenreaktion stattfinden kann, müssen sie aber abgebremst werden, da sie sonst vom viel häufigeren U 238 absorbiert werden. Dieses Abbremsen kann zum Beispiel mit Wasser oder Graphit erreicht werden.

Wie kommt es, dass langsame Teilchen unter Umständen mehr ‘Zerstörung’ anrichten als schnelle? -Auch dieses Phänomen ist nur verwunderlich, wenn wir vergessen, dass die Teilchen immer auch wellenartig sind (siehe dazu Doppelspaltversuch).

In der Wellenlehre, z. B. in der Akustik, ist das Phänomen wohlbekannt. Wenn Sie auf einem Klavier ein c spielen, so schwingt eine c-Stimmgabel mit, wenn Sie diese auf das Klavier stellen. Die Stimmgabel nimmt also die Energie der Schallwelle auf. Man sagt, es tritt Resonanz auf. Spielen Sie jedoch einen höheren Ton, z. B. ein d, so bleibt die Stimmgabel unberührt, obwohl der Ton d eine höhere Energie hat als c. Höhere Energie bedeutet also nicht unbedingt grössere Wirkung.

Nun sind nach der Quantentheorie Teilchen immer auch wellenartig. Schnelle Teilchen haben eine kurze Wellenlänge, langsame Teilchen eine längere. Trifft ein Neutron auf eine Cadmiumplatte, so wirkt das Cadmium wie eine Stimmgabel, das die langen Wellenlängen absorbiert, die kurzen dagegen passieren lässt. Die energiereichen Neutronen gehen ungehindert durch das Cadmium hindurch, während die langsamen ihre gesamte Energie abgeben.

2. Was wir über ferne Sterne wissen können

Ein wichtiges Gebiet, das ebenfalls einen Resonanzeffekt ausnutzt, ist die Spektroskopie mit elektromagnetischen Wellen, die in der Chemie und in der Astronomie eine grosse Rolle spielt. Jedes Atom hat ganz bestimmte Wellenlängen, die es gerne absorbiert oder aussendet. Wie die Stimmgabel absorbiert es dieselben Wellenlängen gerne, die es auch gerne aussendet. Diese Wellenlängen sind so typisch, dass man die Teilchen daran erkennen kann, wie einen Menschen an seinen Fingerabdrücken.

Als die Physiker eines Tages im Sonnenlicht Wellenlängen entdeckten, die sie auf der Erde nicht kannten, schlossen sie daraus, dass es auf der Sonne ein unbekanntes chemisches Element geben müsse, das diese Wellenlängen aussendet. Nach weiterer Forschung entdeckten sie auch auf der Erde ein neues Gas, das ebenfalls gerade diesen ‘Fingerabdruck’ hatte, und sie nannten es nach dem griechischen Sonnengott Helios ‘Helium’. Dank den ‘Fingerabdrücken’ im Sternenlicht wissen wir, dass auf den Sternen keine anderen Elemente zu finden sind, als bei uns auf der Erde und dass im ganzen sichtbaren Universum dieselben physikalischen und chemischen Gesetze gelten.

(Zur Spektroskopie siehe auch Bohrs Atommodell.)

3. Resonanz in der Teilchenphysik

Auch in der Teilchenphysik spielt die Resonanz eine wichtige Rolle. Hier werden in einem Teilchenbeschleuniger verschiedene Teilchen zusammengeschossen und die Physiker schauen, was dabei geschieht. Wenn die Bewegungsenergie der Teilchen genug gross ist, kann sich diese Energie nach Einsteins berühmter Formel E=mc2 in Masse, also in neue Teilchen umwandeln. Dabei entstehen immer gleichzeitig ein Teilchen und das dazugehörige Antiteilchen. Wenn nun die Bewegungsenergie gerade die Energie eines solchen Teilchen-Antiteilchen Paares ist, entsteht beim Zusammenstoss Resonanz, so dass plötzlich sehr viele Teilchen-Antiteilchen Paare entstehen.

Viele dieser Teilchen zerfallen extrem rasch, so dass wir sie nicht direkt beobachten können. Sie zerfallen aber in beobachtbare Teilchen, so dass oft eine ganze Lawine von Teilchen ausgelöst wird, die wir sehen können. Wenn Physiker sagen: “Wir haben ein neues Teilchen entdeckt”, dann haben sie also oft nicht das Teilchen selber gesehen. Vielmehr stellen sie fest: “Immer, wenn zwei Teilchen mit einer ganz bestimmten Bewegungsenergie zusammenstossen, entsteht kurz darauf eine Lawine von Teilchen.” Aus dieser Beobachtung schliessen die Physiker, dass es ein Teilchen-Antiteilchen Paar mit genau der Masse gibt, die der Bewegungsenergie der ursprünglichen Teilchen entspricht.

Weiterführende Artikel auf dieser Homepage:

Doppelspaltversuch
Schrödingers Katze

Weiterführende Bücher:

Feynman / Leighton / Sands, ‘Feynman Vorlesungen über Physik, Band III: Quantenmechanik’, (1988), Ouldenbourg, München / Wien
Wer Physik studiert, kennt und schätzt Feynman. Sehr ausführlich, aber auch sehr originell und didaktisch geschickt erklärt der Nobelpreisträger die Quantenmechanik. Das Buch ist das Vorlesungsskript für die Grundvorlesung und setzt demgemäss ein wenig Mathematik voraus. Feynman zeigt, wie man mit Spins rechnet und rechnet das obige Beispiel vor.

Hey Tony / Walters Patrik, (1990), ‘Quantenuniversum’, Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg
Keine Entdeckung hat die Geschichte der Menschheit radikaler und rascher verändert als die Quantentheorie. Dies zeigen die Autoren an Hand einer Reihe von Anwendungen allgemeinverständlich und praktisch ohne Formeln. Man kann das 20. Jh. nicht verstehen, wenn man nie von der Quantentheorie gehört hat. Auf Interpretationsfragen wird kaum eingegangen.

 

 

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