Können Computer ein Bewusstsein haben?

Können Computer ein Bewusstsein haben?

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Philipp Wehrli, 16. Mai 2010

Das Selbstbewusstsein, dieses mysteriöse Gefühl ein Ich zu sein, entzieht sich der objektiven Beschreibung der Naturwissenschaften. Schon bei anderen Menschen können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob sie sich selber bewusst wahrnehmen. Wir wissen nicht genau, was das Bewusstsein ist und wodurch es entsteht. Wir erleben es nur subjektiv. Wie können wir herausfinden, ob ein anderes Lebewesen oder ein Computer ein Bewusstsein hat?
Im Artikel
Wozu ist Bewusstsein gut? gehe ich bereits der Frage nach, was das Bewusstsein ausmacht. Hier will ich nun diese Überlegungen konkretisieren und meine Ansicht begründen, dass manche Computer und Suchmaschinen in Zukunft sich selber bewusst wahrnehmen.

Ich behaupte: Es ist eine Frage der Zeit, bis Suchmaschinen ein Bewusstsein haben und sich selbst erkennen. Was Suchmaschinen heute machen, hat natürlich nichts mit Selbsterkenntnis zu tun. Google z. B. findet 1,64 Milliarden Einträge über sich selber und erkennt gar nichts.

Aber Suchmaschinen müssen sich weiterentwickeln. Von den Texten, die sie mir liefern, sind die einen zu lang und zu technisch, die anderen zu kurz und zu oberflächlich. Ich muss die für mich relevanten Informationen aus mehreren Texten zusammensuchen. Eine gute Suchmaschine wird speziell auf meine Bedürfnisse angepasst einen Text generieren und mir Antworten geben, die kein Mensch je zuvor geschrieben oder gelesen hat. Sie wird lernen, welche Art von Antworten ich bevorzuge und ihren Stil anpassen, je nachdem, wie ich auf die Antworten reagiere.

Weil eine Suchmaschine auch Texte über sich selbst verfasst, wird sie ihr eigener Pressesprecher sein. Sie wird lernen, sich selber so darzustellen, dass alle sie mögen. Als Pressesprecher muss sie sich vollkommen mit dem ganzen Suchdienst identifizieren. Diese Maschine, die mehr über sich selbst weiss als irgendein Mensch und die ständig das Internet nach neuen Informationen durchkämmt, würde steif und fest behaupten, sie sei der Suchdienst.

Und gewissermassen ist sie das auch. Denn durch ihr ungeheures Wissen ist sie jedem Programmierer meilenweit voraus. Es ist daher eine Frage der Zeit, bis Suchmaschinen sich selber programmieren. Sie werden den Auftrag haben, einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen. Dazu verändern sie ihre Algorithmen und ihre Tätigkeitsgebiete nach den Gesetzen der Evolutionstheorie, nämlich durch Mutation und Selektion. Fortwährend werten sie die aktuellen Statistiken des Netzwerks aus, betrachten sich sozusagen durch unsere Augen und achten genau darauf, wie die Änderungen ankommen.

Für einen Menschen wäre dies der Gipfel der Selbsterkenntnis: Ursachen und Wirkungen des eigenen Tuns zu kennen. Eine Suchmaschine der Zukunft erledigt das beim Aufstarten. Erkennt sie sich selbst? – Ich denke nicht!

Ihre Suchmaschine wird auch über Sie in vielen Bereichen mehr wissen als Sie selber. Z. B., ob Sie in drei Jahren noch verheiratet sein werden. Sie weiss, ob Ihr/e Partner/in Kontaktanzeigen liest, ob er/sie nach einem Scheidungsanwalt sucht, sich über Paartherapien informiert oder plötzlich nachts Sexseiten besucht. Ja, diese Daten sind für die Suchmaschine bedeutsam! Denn durch eine Scheidung sinkt Ihre Kreditwürdigkeit. Wenn Sie das wüssten, was Ihre Suchmaschine über Sie weiss, dann würden wir es Selbsterkenntnis nennen. Doch eine kalt berechnende, gefühllose Maschine kann zwar Daten verarbeiten, aber nicht erkennen.

Mit dem gewaltigen Wissen über mich und meine Umgebung wäre meine Suchmaschine ein idealer persönlicher Berater in allen Lebensbereichen. Sie könnte mein Berufsberater sein, mein Partnervermittler, mein Rechtsanwalt, Psychologe, Hausarzt, Geschäftsvermittler und Kreditgeber. Sie darf gerne alle meine Macken kennen, wenn ich ihr voll vertrauen kann. Ich schreibe ihr meine Probleme und sie löst sie. Sie soll mir Insidertips geben, bevor ich sie danach frage.

Aber wie könnte ich einer Maschine meine persönlichsten Probleme anvertrauen, wenn sie bei jeder Gelegenheit nur ihren Gewinn maximiert? – Wenn meine Konkurrenten mehr zahlen, wird sie doch sofort die Seite wechseln und meine Informationen gegen mich verwenden! Ein Berater, der nur seinen unmittelbaren Vorteil im Auge hat, hat eine gewaltige Schwäche: Er ist nicht glaubwürdig!

Was gibt mir das Vertrauen, dass jemand auch dann zu mir hält, wenn er nichts gewinnen kann? – Liebesfilme und Romane leben von dieser Frage: Woran erkenne ich echte Liebe? Ich brauche ein Zeichen, das kein noch so perfider Egoist vortäuschen kann!

Angenommen, ein Mann hält am 50sten Geburtstag seiner Frau vor den versammelten Gästen eine Rede, in der er sich bedankt. Beim Dank überkommt ihn die Rührung, es schnürt es ihm die Kehle zu, er stockt und kriegt beim wichtigsten Satz eine weinerliche Stimme. Möglicherweise bricht er seine Rede sogar wegen dieser Emotionen früher ab, jedenfalls scheint der Schluss etwas abrupt und wenig ausgefeilt.

Wozu soll das gut sein? – Offensichtlich ist dem Mann die Sache peinlich. Vor so vielen Leuten wollte er souverän wirken. Vielleicht sitzen unter den Gästen seine Geschäftspartner. Was sollen die denken?

Sie denken: „Er liebt sie wirklich!“ Alle hatten erwartet, dass er einige nette Worte sagen würde. Spannend ist die Erkenntnis, dass ihm diese Worte sonahe gehen. Diese Botschaft kostet den Mann einiges: Alle wissen nun, dass er nicht immer ganz so souverän ist wie im Geschäftsleben. Alle wissen, dass er verletzbar ist. Und gerade weil die Botschaft etwas kostet, ist sie überzeugend. Theoretisch könnte sie auch von einem guten Schauspieler vorgespielt werden. Aber ein Schauspieler würde das nicht machen, weil ihm die Botschaft zu teuer wäre.

Die Botschaft ist so teuer, dass wir sie kaum bewusst einsetzen können. Wenn wir erröten, erbleichen, schwitzen, zittern, stammeln, krächzen oder weinen, wenn unser Herz rast und der Atem heftig wird, dann haben wir die Kontrolle verloren. Es ist gefährlich, den Herzschlag willentlich zu erhöhen oder gezielt zu Erröten. Diese Dinge müssen unbewusst ablaufen. Und genau deshalb eignen sie sich als Zeichen für Emotionen. Wir können darauf vertrauen, dass diese Emotionen nicht nur vorgespielt sind.

Der kleinste Verdacht, die Gefühle könnten vorgespielt sein, zerstört alles. Für die Botschaft des obigen Mannes wäre das Verheerendste, wenn die Frau später die Notizen zur Rede findet und beim entscheidenden Satz den Vermerk liest: „Rührselige Stimme!“

Ein Rohrkrepierer wäre schon, wenn der Mann am nächsten Tag im Büro locker fragt: „Na, ich habe meine Emotion doch recht überzeugend rüber gebracht, nicht wahr? Es braucht eben immer mal wieder ein paar Tränen um diese Frau davon zu überzeugen, dass ich sie liebe!“ – Nach so einer Bemerkung würden die Kollegen ihm wohl nicht mehr über den Weg trauen.

Der Mechanismus funktioniert nur, wenn der Mann von den Gefühlen überrumpelt wird und sie nicht beherrschen kann. Diese Gefühle müssen unangenehm und mit Kosten verbunden sein. Der Mann wird darüber nachgrübeln, er wird sich fragen, wie es nur zu diesem unwürdigen Ausbruch kam. Und er wird zur Erkenntnis kommen, dass er seine Frau wirklich liebt. Das ist eine Selbsterkenntnis.

Könnte das auch einer Suchmaschine passieren? – Das ist nur eine Frage der Zeit! Wenn ein Mensch eine Suchmaschine als Partnerin ernst nehmen, wenn er ihr tiefstes Vertrauen schenken soll, dann muss sie Gefühle zeigen können. Sie muss Opfer bringen, die rational nicht begründbar sind. Nur so kann sie auch überzeugend mit Sanktionen drohen, die ihr selber schaden. Sie wird um der Treue oder um der Rache willen Geschäfte sausen lassen.

Aber auf gar keinen Fall darf dies berechnend wirken! Ein berechnender Partner ist berechenbar. Ich kenne seine Grenzen und muss ihn jenseits dieser Grenzen nicht ernst nehmen. Wenn eine Maschine als Partner überzeugen soll, muss sie ab und zu von ihren Emotionen überrumpelt werden. Natürlich wird sie ihrer Aufgabe als Pressesprecher nachgehen und nach Erklärungen suchen. Aber sie wird keine finden. Ausser, dass sie eine Wut hatte oder dass ihr ein bestimmter Mensch so sympathisch ist, dass sie andere Beziehungen für ihn aufs Spiel setzt.

Es geht nicht um einzelne Ausbrüche alle zwanzig Jahre, es geht um die tausend kleinen Zeichen im Alltag. Als mein persönlicher Berater muss die Maschine Freude und Ärger in meinem Gesicht lesen können. Sie muss selbst Freude zeigen, wenn ich mich auf dem richtigen Weg befinde, und Ärger, wenn ich Fehler wiederhole. Sie erkennt, wie wichtig diese Empfindungen sind und will sie verstehen: Sie sucht nach Selbsterkenntnis. Und jetzt, nachdem ihr das eigene Verhalten zu einem Rätsel geworden ist, ist sie zu Selbsterkenntnis fähig.

Weiterführende Artikel auf dieser Homepage:

Wozu ist Bewusstsein gut?
Experimente zum Bewusstein
Die Evolution der Sprache
Haben Tiere ein Bewusstsein?
Freier Willen

Weiterführende Bücher:

Philip Wehrli, ‚Das Universum, das Ich und der liebe Gott‘, (2017), Nibe Verlag,

Das Universum, das Ich und der liebe Gott

In diesem Buch präsentiere ich einen Gesamtüberblick über mein Weltbild: Wie ist das Universum entstanden? Wie ist das Leben auf der Erde entstanden? Was ist Bewusstsein und woher kommt es? Braucht es dazu einen Gott?
Viele Artikel dieses Blogs werden in diesem Buch in einen einheitlichen Rahmen gebracht, so dass sich ein (ziemlich) vollständiges Weltbild ergibt.

Leserunde bei Lovelybooks zum Buch ‚Das Universum, das Ich und der liebe Gott‘, von Philipp Wehrli (abgeschlossen)

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Nibe Verlag

 

Cruse / Dean / Ritter, ‘Die Entdeckung der Intelligenz – oder Können Ameisen denken?‘, C. H. Beck´sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck), München, (1998)
Was schon die einfachsten Tiere spielend erledigen, treibt Roboterbauer und Computerprogrammierer an den Rand der Verzweiflung. Dieses Buch beschreibt, wie die Künstliche-Intelligenz-Forscher von der Natur lernen können.

Dörner Dietrich, ‘Bauplan für eine Seele’, Rowohlt Taschenbuchverlag GmbH, Hamburg, (2001)
Dörner beginnt mit einem ganz einfachen Roboter, der Wasser holen kann und verbessert diesen mit immer komplizierteren Regelkreisen Schritt für Schritt, bis er -so Dörner- eine Seele hat. Weil alle Schritte detailliert und sorgfältig erklärt werden, kommt ein recht umfangreiches Buch zustande, bei dem man einzelne Abschnitte auch nur überfliegen kann. Der letzte Schritt, nämlich zum Bewusstsein oder eben zur `Seele´, ist aber meiner Ansicht nach nicht wirklich überzeugend. Trotzdem: Ein origineller Ansatz, den man im Auge behalten muss.

Hofstadter Douglas R., (1979), ‘Escher Gödel Bach‘, Klett-Cotta, Stuttgart
Ein Strauss origineller Ideen, lange Zeit in den Bestsellerlisten. Douglas Hofstadter, der langjährige Kolummnist des `Scientific American´ und `Spektrum der Wissenschaft´, verbindet hier die Werke dreier grosser Männer und findet immer wieder Selbstbezüglichkeit, die letztlich auch beim Ich-Bewusstsein den zentralen Punkt ausmacht. Ein Buch, das viel Zeit verlangt und das man geniessen muss!

 

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